Interview mit Johannes Gfeller

Kunstakademie Stuttgart

Johannes Gfeller, 1956 in Burgdorf, im Kanton Bern in der Schweiz geboren, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Bern. Seit 1978 setzte Gfeller sich intensiv mit der Videoproduktion auseinander, absolvierte eine autodidaktische Ausbildung zum Fachfotografen und Medientechniker und war in diesem Bereich bis 2001 als Selbständiger tätig. Von 1988 bis 2002 lehrte er Ästhetik und Technik der Videokunst an der Schule für Gestaltung Bern (SfGB) und hat seit 2006 einen Gastlehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste Wien inne. Von 2001 bis 2011 bekleidete Gfeller eine Professur im Fachbereich Konservierung und Restaurierung an der Berner Fachhochschule/Hochschule der Künste Bern (HKB) mit dem Schwerpunkt Moderne Medien.

Memento Movie: Sie leiten seit 2011 an der Kunstakademie Stuttgart den MA-Studiengang „Konservierung Neuer Medien und Digitaler Information“. Den Begriff der „Konservierung“ würde man auf den ersten Blick vielleicht weniger mit neuen Medien oder digitalen Datenmengen als mit einem klassischen Museumsbetrieb verbinden.

Johannes Gfeller: Richtig, es gibt einerseits den Museumskonservator, das ist aber der Sammlungsleiter bzw. die Ausstellungsmacherin; andererseits spricht man auch innerhalb der Restaurierung von Konservierung bzw. von präventiver Konservierung, also dem Schaffen von guten Bedingungen – Klima, Verpackung etc. Das beinhaltet auch die Schadensanalyse, aber nicht die invasive Behandlung des Kunstwerks selbst, die der eigentlichen Restaurierung vorbehalten ist.

Memento Movie: Der Begriff der „präventiven Konservierung“ ist ja gerade im Bereich von digitalen Werken interessant, da es dort die „passive Konservierung“ der analogen Welt – ins Regal legen und hoffen – nicht mehr gibt.

Johannes Gfeller: Magnetbänder – Tonband, Video – altern, halten nicht ewig; man spricht in der Regel von zehn Jahren, ich habe allerdings auch 40 Jahre alte Videobänder, die ich noch abspielen kann. Im IT-Bereich gibt es auch Bänder, LTO-Bänder, die man aber in der Tat eher nicht einfach ins Regal stellt, sondern im Idealfall einem automatisierten Prozess der periodischen Prüfung und Datenmigration unterzieht: bei steigender Fehlerrate werden die Daten auf eine neues Band kopiert. In diesem Sinne bedeutet hier Prävention die richtige Planung der Systemarchitektur. Natürlich gibt es noch einige Hürden zu nehmen: Wenn man sich genuin digitale und dynamische Produkte wie z.B. Websites anschaut, dann ist eine der großen Aufgaben beim Schnüren des Archivpakets die Reduktion der Formatvielfalt, also nach Möglichkeit proprietäre Formate (dazu gehört z.B. auch so etwas wie Outlook) zu vermeiden und sie auf Open Source oder zumindest auf klar offengelegte Standards zu bringen. Bei diesem Prozess fallen weitere Metadaten an – neben den bestehenden, die das Objekt beschreiben: Was hat man gemacht? Gibt es Verluste?

Memento Movie: Und dann warten die Herausforderungen der Langzeitarchivierung …

Johannes Gfeller: … die, wie schon gesagt, beherrschbar sind. Die Frage ist nur, ob dies tatsächlich politisch gewollt und bezahlbar ist. Die Vorstellung, alles erhalten zu können, ist blauäugig. Selbst wenn wir das im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten technisch bewerkstelligen könnten, wäre es politisch-finanziell noch immer nicht möglich. Neben der technischen Frage steht also immer die gesellschaftliche: Was ist das Ding wert? Und der Wert kann hier tatsächlich ein Geldwert sein: Der ehemalige Leiter des BBC-Archivs, Richard Wright, hat 2002 auf einem PRESTO-Symposium in London erzählt, wie es zur Gründung bzw. zur Professionalisierung dieses Archivs kam. Seine Bosse haben sich zunächst nicht besonders dafür interessiert. Dann hat er damit angefangen, den virtuellen Wert seiner Bestände in Wiederbeschaffungskosten bzw. in Produktionskosten für aktuelle Sendezeit zu errechnen, und auf einmal hat man gemerkt: Oh, unser Archiv ist Milliarden wert. Wenn wir wieder einmal die Krönung der Königin von 1953 bringen müssen, die können wir nicht nachdrehen. Das Ding wird aber so oft verwendet, das muss sicher aufbewahrt werden. Und zwar nicht nur sicher, sondern auch mit einem schnellen Zugriff.

Memento Movie: Aber nicht für alle Daten kann man einen solchen Wert errechnen.

Johannes Gfeller: Genau. Und dann muss man ans historische Gewissen appellieren, Bildungshorizonte aufzeigen etc. Das wird heutzutage nicht leichter. Deshalb ist es mir wichtig, in meinem Studiengang, der sowieso nicht alle technischen Fertigkeiten vermitteln kann, einen geisteswissenschaftlichen, kulturellen Background aufzuzeigen und via Mediengeschichte zu vermitteln, wo die Dinge herkommen. Für viele meiner Studierenden ist analog weit weg, das hat vielleicht der Papa noch, aber auch der bald nicht mehr. Meine jetzigen Studierenden haben die Audiocassette noch in den Händen gehalten im Kinderzimmer. Bald ist das vorbei und dann müssen wir zu vermitteln anfangen: Es geht nicht nur um die reine Information, sondern jeder Träger war eine kulturelle Größe in der jeweiligen Gesellschaft.

Memento Movie: Auf der FIAF-Konferenz 2013 wurde beschlossen, der UNESCO vorzuschlagen, das Filmmaterial zum Weltkulturerbe zu erklären; die Hoffnung, das Filmmaterial als Träger neben dem Digitalen erhalten zu können, beruht teilweise auf solchen Erfolgsgeschichten wie der des Vinyls, das nach dem Aufkommen der CD schon für tot erklärt worden war und dann wieder mächtig aufkam. Wird die Materialität in der digitalen Welt sich immer wieder ihren Weg bahnen?

Johannes Gfeller: Einige, die heute Vinyl auflegen, sind damit nicht aufgewachsen, waren schon in der Lücke und haben das dann wiederentdeckt. Ich kenne auch Leute, die vor der Jahrtausendwende, als die CD die LP fast vollständig verdrängt hatte, ein Vinyl-Presswerk übernommen haben. Die Pressmaschinen, die man noch nicht verschrottet hat, scheinen momentan für die Produktion auszureichen. Technologisch gesehen ist Vinyl nicht so schwierig herzustellen, ein bisschen Feinmechanik, ein bisschen Elektronik und viel spezialisiertes Know-how, das kann ein Kleinbetrieb machen. Beim Film verhält sich das etwas anders: Fuji hat die Produktion für Kinofilm eingestellt, und die wenigen Leute, die heute noch Film in Fotoapparate einlegen, denen wird man das auch noch abgewöhnen. Dann gibt es Kodak. Kodak ist im Insolvenzverfahren. Wenn sich herausstellen sollte, dass Kodak Chemicals keine Zukunft haben wird, kann es sein, dass eine Schlüsseltechnologie, auf die auch Fuji angewiesen wäre, verloren geht. Und das können dann nicht ein paar Jungs übernehmen, die in der Küche noch ein Labor haben. Das ist eine Nummer zu groß.

Memento Movie: Das gilt aber nur für Farbfilm, oder?

Johannes Gfeller: Richtig. Der Schwarzweißfilm hat eine relativ gute Überlebenschance, weil man ihn in kleiner Manufaktur herstellen kann. Das Problem bleibt dann allerdings die Distribution: nur noch ganz wenige Kinos können 16 oder 35 mm vorführen. Es kann aber sein, dass die Digitalisierung – für uns noch unvorstellbar – den kompletten Abschied von irgendeiner Materialität bedeutet. Die Frage ist, inwiefern die entstehende Bilderwelt noch in Beziehung steht zu der materiellen Welt, in der wir verhaftet sind, weil wir einen Körper haben. Gerade deshalb wird es aber immer wieder Kreisbewegungen geben: die Körperlichkeit wird immer wieder gesucht werden. Die Vinylgeschichte ist ja eine Bewegung zurück zum Haptischen. Ich bin auch gespannt, wo uns die Entwicklung hinführt; wir müssen jedenfalls sehr aufpassen, nicht zu Kulturpessimisten zu werden: Auch mit analogen Medien ist ja vor allem Schrott gemacht worden, und dann eben ein paar ganz tolle Dinge. Warum sollte sich daran etwas ändern?

Memento Movie: Wieder zurück zu Ihrem Studiengang: mit den „neuen Medien“ in dessen Titel sind in erster Linie Fotografie und Video gemeint, eigentlich keine ganz neuen Medien mehr.

Johannes Gfeller: Als der Studiengang 2006 gegründet wurde, war der Fotoingenieur Klaus Pollmeier, Mitherausgeber der Zeitschrift „Rundbrief Fotografie“, mit seinem Aufbau beauftragt. Ihm schwebte – von seiner Herkunft her durchaus verständlich – schwerpunktmäßig ein Fotorestaurierungslehrgang vor. Die Hochschulleitung hat entschieden, auch Video und digitale Informationen mit ins Programm aufzunehmen. Heute haben wir hier eine die präventive Konservierung betreffende Wissensvermittlung, die im Bereich Fotografie von klassischen Technologien (Negative, Platten, Papier- und Metallkopien usw.) bis zum Inkjet reicht, wo es auch schon einen erheblichen Restaurierungsbedarf gibt. Die Forschungsleiterin von Ilford Schweiz, wo die Inkjet-Technologie gemacht wird, gibt beispielsweise bei uns einen Kurs. Insofern bin ich mit meinem zentralen Interesse für die audiovisuellen Medien fast der Außenseiter in diesem Studiengang, weil ich die Erinnerung an Präzisionsmechanik, analoge und frühe digitale Elektronik aufrechterhalte. Jedenfalls bieten wir diese beiden Stränge an, fotografisches Bild und analoges, noch bandbasiertes Video (Film nur in Ansätzen), die heute beide als digitale Informationen enden: unser dritter Schwerpunkt, der auch die Langzeitarchivierung beinhaltet. Alles ihm Rahmen dessen, was man in zwei Jahren machen kann.

Memento Movie: Welche Rolle spielt die praktische Ausbildung?

Johannes Gfeller: Ab kommenden Semester gibt es im ersten Studienjahr an einem Nachmittag in der Woche verpflichtend Atelierunterricht; in der vorlesungsfreien Zeit müssen zwei Praktika à vier Wochen absolviert werden; und zu Beginn des zweiten Studienjahres stehen zwei Konservierungsprojekte an. Wir bauen also das „Hands On“ aus: Erfahrung kann nur selber gemacht werden. Sowohl bei den Praktika als auch bei den Masterarbeiten bieten wir die ganze Breite an Möglichkeiten: ob Deutsches Literaturarchiv in Marbach oder Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart, ZKM oder Staatsgalerie, ob fotografische Glasplatten oder SMS und E-Mail. Die im Schnitt 4-5 Studierenden, die pro Jahr bei uns anfangen, kommen allerdings mit den unterschiedlichsten Vorkenntnissen zu uns, was im Umkehrschluss heißt, dass wir keine spezifischen technischen oder informatischen Fähigkeiten voraussetzen können.

Memento Movie: Wie ist das Standing Ihres Studiengangs innerhalb der Akademie und wie sehen sie ihn im Vergleich zu ähnlichen Studiengängen?

Johannes Gfeller: Wir haben hier ja vier herkömmliche Restaurierungsstudiengänge: Gemälde und gefasste Skulpturen / Kunstwerke auf Papier, Archiv und Bibliotheksgut / Wandmalerei, Architekturoberfläche und Steinpolychromie / sowie archäologische, ethnologische und kunsthandwerkliche Objekte; alle vier sind – gemeinsam mit der Kunstgeschichte – in der Fachgruppe  „Kunstwissenschaften – Restaurierung“ organisiert. Dazu stieß dann unser Studiengang und wurde anfangs natürlich etwas kritisch beäugt: Brauchen wir das auch noch? Nach der Projektphase war dann die Finanzierung in großer Gefahr, aber heute ist meine Stelle entfristet und der Studiengang definitiv gesichert, und bei den Kolleginnen und Kollegen sind mein wissenschaftlicher Mitarbeiter Mario Röhrle und ich auch sehr gut integriert. Der Studiengang ist ziemlich einzigartig: in Bern, wo ich zuvor tätig war, gibt es zwar einen BA und einen MA, aber wer neue Medien studieren will, muss sich das Fach mit den modernen Materialien teilen und damit auch viel (Kunst-)Stoff büffeln, den er für die Beschäftigung mit Foto, Video und digitalen Informationen nicht braucht, wodurch andererseits wieder Zeit für auf unsere Schwerpunkte maßgeschneiderte chemische und physikalische Grundlagen fehlt, die mir wichtig sind. An der HTW in Berlin teilt sich der Studiengang „Konservierung und Restaurierung“, der für Foto und Film sicherlich der beste Platz in Deutschland ist, das Curriculum mit der Grabungstechnik und dem technischen Kulturgut; dafür kommen die elektronischen Medien bisher noch etwas zu kurz. Mit der Neuausschreibung der Professur von Martin Koerber, der nun definitiv in der Deutschen Kinemathek bleibt, dürfte sich das – mindestens vom Stellenprofil her gesehen – ändern. Hier in Stuttgart sind wir dagegen inhaltlich unabhängig von den anderen Restaurierungsstudiengängen und können unser Programm sozusagen „ballastfrei“ zusammenstellen. Desiderat bleibt ein thematisch auf unseren Master zugeschnittenes BA-Curriculum.

Das Interview wurde am 6. Juni 2013 in Stuttgart geführt.

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