Warum Filmgeschichte?

Wie die Digitalisierung unser Bild der Vergangenheit verändert

Beim Stichwort „Digitalisierung“ des Films denken wohl die meisten an Verfahren der Visual Effects oder an computergenerierte Bilder (CGI): überlebensgroße Steinriesen, die sich in einem Gebirge unbarmherzig Felsbrocken an den Kopf werfen, während sich zwischen ihnen winzige Zwerge und Hobbits tummeln. Die digitalen Bildgewalten erscheinen umso eindrücklicher, wenn sie in der neuesten 3D-Technik projiziert werden: Peter Jackson und sein Team filmten die Abenteuer des Hobbits bekanntlich in der doppelten Bildgeschwindigkeit von 48 Bildern pro Sekunde.

Das Erschaffen von phantastischen Wesen aus dem Computer –  dank der Möglichkeit, unterschiedliche Bildinformationen zu kombinieren und vor allem nach Belieben zu manipulieren – ist beeindruckend; die Debatte um erhöhte Bildgeschwindigkeiten verweist auf den allgegenwärtigen Gedanken eines rasanten technischen Fortschritts in Richtung einer schöneren, hochaufgelösten digitalen Erlebnis-Bilder-Zukunft. Doch was passiert in einer solchen Medienumgebung mit der filmischen Vergangenheit, die sich im letzten Jahrhundert angesammelt hat und zum Großteil noch auf fotochemischen Filmstreifen ruht? Was passiert mit unseren kinematographischen Erinnerungen der Vergangenheit, wenn sie nach den heutigen technischen Standards und Sehgewohnheiten „verbessert“ bzw. „remastered“ auf DVD oder Blu-ray-Disc auf den Markt kommen? Was ist diese filmische Vergangenheit überhaupt wert? Was bedeutet sie für unsere Kultur?

Bevor ich zu diesen Fragen komme, sei eine Vorbemerkung zum hier verwendeten Begriff von „Geschichte“ vorgenommen: Geschichte ist immer mehr als eine Aneinanderreihung von Fakten: Geschichte ist – egal auf welcher Ebene – eine Konstruktion, in der von einer Gegenwart aus die Vergangenheit geschrieben wird. Dies gilt auch für die Medien- bzw. Filmgeschichte.

Der Wert von Filmgeschichte für die Transition

Die Transition von fotochemischem zum digitalen Film wirkt auf mehreren Ebenen, wobei die technischen und informatischen Fragestellungen sicherlich im Vordergrund stehen; Die Transition von fotochemischem zum digitalen Film wirkt auf mehreren Ebenen, wobei die technischen und informatischen Fragestellungen sicherlich im Vordergrund stehen; in Expertenkreisen sind sie seit einigen Jahren Ausgangspunkt einer höchst emotional geführten Debatte um Filmrestaurierung,-präservation und -projektion von historischen Filmen. Gerade hier wird deutlich, wie wichtig ein filmhistorisches Bewusstsein ist. Im Mittelpunkt steht immer die Frage: Wie kann man bestimmte materialästhetische Qualitäten des analogen Films und seiner Projektion in digitale Technologien übertragen?

Die Crux liegt vor allem in der immer schon gegebenen technischen Reproduzierbarkeit des Films. Man hat kein historisches, einzigartiges auratisches Artefakt, das verlässlich ein „Original“ darstellt: Filme sind schon immer schier unendlich industriell kopiert und in verschiedenen Versionen und Fassungen weltweit vertrieben worden. Ihr Marktwert war meist durch ihren Schau- und Unterhaltungswert bestimmt, da Filme in der Entertainment-Industrie verwurzelt sind. In der populären Wahrnehmung definieren sich Bewegtbilder in erster Linie über ihren Inhalt; in manchen Fällen, sofern man ihnen einen Dokument-Charakter zuschreibt, sind sie eine beliebte Illustration, schützenwertes historisches Kulturgut jedoch erst auf den zweiten oder gar dritten Blick.

Die Frage nach dem Original, die Bestimmung des historischen Artefakts ist ein zentrales Problem in der Filmrestaurierung und -digitalisierung, wenn es darum geht, eine historische Referenz zu bestimmen. Die Restaurierungsethik behilft sich mit Konstruktionen; dies kann etwa die autorisierte Fassung des Regisseurs sein oder die Premierenfassung. Für den Scan-Prozess, Initialmoment der Überführung in die digitale Domäne, versucht man das möglichst beste Ausgangsmaterial zu verwenden. Bereits hier bekommt das Wissen um Filmgeschichte ihren besonderen Wert: Man muss sich in der Materialgeschichte des Films auskennen, in den Besonderheiten der Formate oder der Farbverfahren (vgl. hierzu etwa die Systematisierung in Barbara Flückigers Datenbank). Denn das digitale Abbild kann nur so gut werden wie das Wissen über das zu scannende Objekt es erlaubt.

Historisches Wissen ist umso wichtiger, da man digitalen Speichermedien als Langzeitsicherungselementen noch misstraut. Es fehlen die Erfahrungswerte, die man mit dem fotochemischen Film im 20. Jahrhundert sammeln konnte. Aus diesem und noch weiteren Gründen gilt bei vielen Archivaren dieser als die sicherste und dauerhafteste Variante der Filmpräservation. Doch dazu muss auch das Wissen um den Umgang mit fotochemischem Film und um dessen Verhalten bewahrt werden. Diese Kompetenz darf nicht gegen den Anspruch, die Filme digital zugänglich machen zu wollen, ausgespielt werden. Momentan wird der Anschein erweckt, als ginge es ausschließlich darum, alles möglichst schnell zu digitalisieren, um es in der aktuellen Medienumgebung wieder sichtbar machen zu können. Die Langzeitsicherung, die nach wie vor eine Voraussetzung für die Zugänglichkeit ist, rückt dabei völlig in den Hintergrund. Umso dringlicher ist eine fundierte filmhistorische Expertise – was vielleicht mit einem zu starren Blick in die digitale Zukunft vergessen wird. Dazu muss man auch (junge) Menschen ausbilden und ihnen die entsprechenden Arbeits- und Jobperspektiven geben.

Kulturelle Praxen: Primat der sinnlichen Unterhaltung

Die großen Möglichkeiten der digitalen Tools sind in der Filmrestaurierung nicht von der Hand zu weisen – und diese verbinden sich mit den (digitalen) Editionspraxen von restaurierten Filmen auf DVD und Blu-ray-Disc: Viele der re-editierten historischen Filme werden etwa von einer Restaurierungsdokumentation begleitet. So ermöglichen die digitalen Editions- und Distributionsoptionen eine Verbreitung des Wissens um die Filmarchivierung, was durchaus zu einer neuen Lobby für das audiovisuelle Kulturerbe führen kann.

Der offensichtlichste Zweck von audiovisuellen Bewegtbildern in unserer Kultur ist wohl immer noch die sinnliche Unterhaltung:  Guido Knopps historiographisches Vermächtnis Weltenbrand (2012) benutzt Archivbilder, um seine eigenen Thesen zu illustrieren; die Bilder wurden – historische Kolorierungsverfahren imitierend – digital eingefärbt; zusätzlich wurden sie ineinander montiert oder es wurde in sie hinein gezoomt. Dies alles, um die emotionalisierende Wirkung zu verstärken. Im Feuilleton hat es hierzu ein breites Echo gegeben – wenige stellten aber die Frage, ob es legitim sei, Archivmaterial und damit historische Quellen derart zu verfremden (vgl. etwa Bohn/Janz 2012). Was in der Debatte um Knopp besonders deutlich wurde, ist die Tatsache, dass der Entertainment- und Erlebnischarakter des audiovisuellen Erbes über allem steht: Filmbilder sind unterhaltende Illustrationen, nicht selbständige Zeugnisse einer historischen kulturellen Praxis.

Ein Recht auf Filmgeschichte

Bei bestimmten Meldungen ahnt man, dass die Debatte um Editionspraxen nicht nur im Bereich der dokumentarischen Archivbilder, sondern auch in Bezug auf Spielfilme geführt werden muss: epd Film 1/2012 berichtete unter dem Titel: „Klappe halten, Kunde! Die Firma Icestorm verstümmelt Filme und droht unzufriedenen Kunden“ über folgenden Vorfall:

„Der Vertrieb hat den Film (Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Vorlícek 1973, FH) vom Format 4:3 auf 16:9 umgewandelt, dem heute gängigen TV-Format, um zu verhindern, dass links und rechts schwarze Streifen entstehen. Dadurch verschwinden Bildinformationen, es ist nicht mehr der Film, den Vorlícek gedreht hat. Ein epd-Film-Leser, der die DVD kaufte, hat sich daraufhin bei Icestorm beschwert (…) Der Leser monierte die Verstümmelung durch die Formatänderung, die ein Betrug am Kunden und anderseits ein Verbrechen am Film bedeute. Allerdings bekam er keine Antwort von Icestorm, sondern von deren Anwalt (…) Die Kanzlei fand strafrechtliche Tatbestände wie Beleidigung erfüllt, verzichtete aber, großzügigerweise, auf Strafverfolgung.“ (Worschech 2012, 5)

Es ist schon bemerkenswert, dass hier ausnahmsweise der Streit um die Authentizität eines filmischen Kunstwerks Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung zu werden drohte (solche Formatänderungen finden im Fernsehen ständig statt) – nicht nur wegen der pikanten Reaktion des DVD-Herstellers, sondern auch weil der unzufriedene Kunde von einem „Verbrechen“ spricht: Er wollte das sehen, was der Regisseur zeigen wollte – also alle Bildinformationen. Verstärkend kommt wohl hinzu, dass es sich hier um einen Märchenfilm handelt, der durch seine fast rituelle jährliche Wiederholung im Fernsehen untrennbar mit dem Weihnachtsfest verbunden ist und schon allein deshalb zum kulturellen Erbe gehört. Zwei Positionen prallen hier aufeinander: Der Kunde, der die Filmgeschichte möglichst nah am historischen Original sehen und damit die filmische Erinnerung aktualisieren möchte; auf der anderen Seite der Anbieter, der es möglicherweise als Dienstleistung verstanden hat, das Format zu ändern, da der Konsument nicht aus seinen Sehgewohnheiten der 16:9-Ära gerissen werden soll.

Theoretisierend gesprochen könnte man hier sehr frei mit Aleida Assmann sagen: Die Funktionen des kulturellen Gedächtnisses können sich verändern. In diesem Fall wird die Vorstellung vom bewahrenden, speichernden Gedächtnis eines filmischen Erbes abgelöst von einem funktionalen: Die historischen Filme werden in einen zweckorientierten, pragmatischen Zusammenhang gebracht. Ihre Form und in diesem Fall auch ihr Inhalt werden den augenblicklichen Medienbedingungen unterworfen (auf der mittlerweile erschienenen Blu-ray-Disc sind beide Bildformate vorhanden).

Historiographischer Konsum zwischen Unüberschaubarkeit und Popularisierung

Neben solchen Fällen muss man aber auch die DVD- und Blu-ray-Disc-Editionen, die sich der Idealvorstellung eines philologischen Paradigmas (vgl. Christen 2011) verschrieben haben (eine Vorreiterrolle hat hierbei The Criterion Collection eingenommen), hervorheben. Aber wer überschaut überhaupt noch die zahlreichen auf den Markt gebrachten Editionen? Und vor allem: Was macht eine „gute“ Edition aus? Etwa ein Schauspieler-Interview mehr als Bonusmaterial? Oft sind Bild- und Tonqualität das erste Bewertungskriterium, aber inwieweit existiert eine Transparenz zwischen den fotochemischen Ausgangsmaterialien und ihrer Transition in die digitale Domäne (vom Material auf YouTube ganz zu schweigen)? Hierbei spielen auch nationale und regionale Gesichtspunkte eine maßgebliche Rolle; zum einen natürlich über die region codes, zum anderen aber auch über die Editionspraxen (vgl. zu Macht- und Wertstrukturen von DVDs Distelmeyer 2012).

Ein interessantes Beispiel sind nicht zuletzt die verschiedenen Editionen der Filme von Georges Méliès, eines der Väter des fantastischen Films – jede von ihnen schreibt unter anderen Vorzeichen Filmgeschichte. Gerade ist in Deutschland bei Arthaus eine DVD erschienen (Kritik in epd-Film 1/2013, S. 66), in Frankreich gibt es schon länger eine entsprechende Box (Lobster Films, 2008), inzwischen sogar schon wieder in einem Upgrade mit einer sechsten DVD.

Die Filmgeschichte steht nie still, immer gibt es neue Funde und weitere Restaurierungen. Martin Koerber hat hierzu in einem Podiumsgespräch 2012 während des Festivals Il Cinema Ritrovato in Bologna formuliert, dass jede Restaurierung – gerade im Zeichen digitaler Technologien – immer nur eine vorläufige sein könne. Dies kann man auch mühelos auf Filmeditionen anwenden.

Was die deutsche Méliès-Box so speziell macht, ist das „Ereignis“ der Restaurierung von Le voyage dans la lune (Die Reise zum Mond, 1902). Der Film war Méliès’ Welterfolg am Anfang des 20. Jahrhunderts – die Analogie zu einem heutigen Blockbuster wie Avatar (2009, James Cameron) wird – auch wegen der jeweiligen State-of-the-Art-Tricktechnologie –  immer wieder zitiert. In Kleinstarbeit hat man vor mehr als zehn Jahren die einzelnen Frames digital abfotografiert. Erst als später die Technik so weit war, konnte man sie wieder zusammensetzen, Bildteile kombinieren und rekonstruieren. Aus heutiger Sicht ist diese neue Fassung des Films deshalb so wertvoll, weil sie besser zu unserem aktuellen Attraktionsempfinden passt: Sie ist – genau wie die ursprüngliche Fassung – handkoloriert und damit in Farbe. Ein weiterer Mehrwert der Edition ist die Dokumentation über die Restaurierung, die vor allem die Leistungsstärke der digitalen Technologien vorführt. Eine aktualisierende Zusatzattraktion  ist darüber hinaus die eigens neu komponierte Musik der hippen französischen Band Air.

Dass historische Filme sehr stark an die aktuellen Sehgewohnheiten angepasst werden, gilt auch für die prestigeträchtigen Projekte, wie man z.B. auf der Berlinale 2012 besichtigen konnte: Eine Restaurierung wurde über ihre Präsentations- und Aufführungspraxis zum Spektakel (Pescetelli 2011) und Event: The Life and Death of Colonel Blimp (1943, Michael Powell / Emeric Pressburger) war gerade neu restauriert worden, u. a. gefördert durch die 1990 von Martin Scorceses gegründete The Film Foundation (mittlerweile ist sie auf DVD und Blu-ray-Disc erschienen).

Die technische Herausforderung des Films bestand in dem ursprünglich verwendeten Technicolor-Farbverfahren. Aber gerade die Schwierigkeit, dessen besondere Anmutung zu reproduzieren, ist Ausgangspunkt von Debatten und Forschungsprojekten. Für die 2012er Fassung wurden die Bilder aufgehellt und geschärft: Bei allem Bemühen sich am „Original“ zu orientieren, schlägt doch die Gegenwart mit ihren Geschmacksvorlieben durch. Dessen muss man sich gerade in der schnelllebigen Medienentwicklung immer bewusst sein. Das heißt aber nicht, dass filmrestaurierende Unterfangen vergeblich oder nicht wichtig wären. Restaurationsprojekte und ihre Debatten sind wichtiger denn je, denn sie sind elementarer Bestandteil, Gedächtnis und zugleich Zeugnis unserer mediatisierten Kultur und Wahrnehmung.

Populärkultur und Erinnerung: „You talkin‘ to me?“

Es gibt keine perfekte Restaurierung, es kann immer nur eine Annäherung geben. Mit anderen Worten: Es gibt nur die Transparenz gegenüber der Perspektive, den Bedingungen und vor allem den Interessen der Gegenwart. Dazu gehört vor allem, das man die Filmrestaurierungen bzw. ihre Ergebnisse eben auch als ein Zeugnis der Gegenwart begreift, wie sie Vergangenheit versteht. Denn man darf nicht unterschätzen, wie sehr gerade Fiktionsfilme als kollektive Erinnerungsräume – über den Filminhalt wie über die Materialästhetik – unser Bild der Vergangenheit prägen. Barbara Klinger (2006) hat für den amerikanischen Markt nachgewiesen, wie das kommerzielle Recycling von Hollywood-Klassikern (vintage-films) dazu führte, dass diese als unmittelbare Dokumente der amerikanischen Kultur betrachtet wurden.

Eines der schlagendsten Beispiele ist wohl die Erkenntnis, die Sony 2011 bei der Restaurierung von Taxi Driver (1976, Martin Scorsese) hatte: Ausgerechnet in der Szene mit einem der bekanntesten Sätze der Filmgeschichte, der längst in der Populärkultur ein eigenständiges Leben entwickelt hat („You talkin’ to me?“), war bei einer der vorangehenden DVD-Editionen der Bildausschnitt so verändert worden, dass sich die Blickstrukturen von Robert De Niro vor dem Spiegel gänzlich anders als in der Kinofilmfassung gestalteten. Auch war in die symbolhafte Farbdramaturgie nachhaltig eingegriffen worden, indem etwa ein auffälliger Rotton der Jacke von De Niro (Ausdruck für dessen latente Emotionen) abgeschwächt wurde. Filmrestaurierung und -edition betreffen also nicht nur ethische, sondern auch ganz konkret filmanalytische Fragen und damit – letzten Endes – die kollektiven Gedächtnisbilder.

Das Fantastische des „Digitalen“: Darum Filmgeschichte!

Sicherlich, eine Migration und Transformation von Bildern hat auch schon vor der Digitalisierung ständig stattgefunden, doch nie waren die Erscheinungsformen von „Film“ so vielzählig, nie die Zugänglichkeit von Filmen so variabel. Audiovisuelle Medien durchdringen mittlerweile alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Gerade deshalb muss man umso mehr die impliziten Selektionsprozesse explizit machen.

Es gibt zahlreiche ökonomische und rechtliche Einschränkungen, von denen die Akteure des heritage business (z. B. TV-Sender, Archive, Studios, Verleihfirmen etc.) sich leiten lassen (müssen). Damit wird aber auch aktiv Filmgeschichte geschrieben und -kanonisierung betrieben. Dazu gehören alle Arten von Paratexten wie beigelegte Erklärungen, Narrationen und Kontextualisierungen in Form von Bonusmaterialien. Die filmhistorische Dokumentation oder auch Restaurierungsdokumentation ist hier ein zentrales Genre (vgl. etwa Mythos in Agfa-Color, die filmhistorische Dokumentation zu Münchhausen (1943, Josef von Baky) oder Prettier than ever. The restoration of Oz).

Der Blick in die mediale Vergangenheit kann die Sinne schärfen für eine kritische Perspektive auf die Versprechen, die uns die „digitale Revolution“ offeriert. So gehört es zur Standardrhetorik, den qualitativen Sprung der Bild- und Tonqualität hervorzuheben. Doch sollte uns gerade die Nostalgie gegenüber den eigenen Seherfahrungen und filmischen Initiationsprozessen zeigen, dass „gute Wahrnehmung“ und Bildqualität in höchstem Maße kulturell bedingt sind und einer medialen Konditionierung entstammen.

Filmgeschichte lehrt hier die Verhältnismäßigkeit, womit es möglich wird, die omnipräsente Idee von Fortschritt in eine digitale Zukunft kritisch zu hinterfragen: Es gilt nicht nur, die Filme selbst zu erinnern – Memento Movie –, sondern sich auch die Formenvielfalt, in denen Filme zugänglich waren und sind, zu vergegenwärtigen. Filme sind nicht nur ihr Inhalt als Unterhaltung, sie sind eine kulturelle Praxis, die in einzigartig wirkmächtiger Weise das Imaginäre von Gesellschaften als Erlebnisform zum Ausdruck bringt. Und so wird die Filmgeschichte auch immer wieder als Referenz – ob affirmativ oder abgrenzend – benutzt, um die Vorstellung der fantastischen Möglichkeiten von digitalen Bildtechnologien zu vermitteln – der digital wizardry (Klinger 2006). Mit anderen Worten: Man benötigt die Filmgeschichte und ein Bewusstsein um deren Bedeutung, um die Wahrnehmungsbedingungen und die damit verbundenen kollektiven Fantasien der Gegenwart zu verstehen.

 

Franziska Heller ist Mitarbeiterin in dem Forschungsprojekt “Film History Remastered”, das unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Flückiger am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich mit Förderung des Schweizer Nationalfonds durchgeführt wird. Ziel ihres Habilitationsprojekts ist es, die Digitalisierung von historischen Filmen als kulturelle Praxis zu systematisieren und ihre Folgen sowohl für die Geschichtsbilder als auch für die populäre Wahrnehmung von digitalen Technologien zu untersuchen.

Verwendete und weiterführende Literatur

Assmann, Aleida (1999): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C.H. Beck.

Bohn, Anna (2012): Denkmal Film. Band 1: Der Film als Kulturerbe. Band II: Kulturlexikon Filmerbe. Wien/Köln et al.: Böhlau.

Bohn, Anna/Janz, Oliver (2012): Kann denn Farbe Sünde sein? In: Der Tagesspiegel. 20.09.2012. http://www.tagesspiegel.de/medien/alte-bilder-neues-sehen-kann-denn-farbe-suende-sein/7155174.html (31.01.2013).

Christen, Matthias (2011): Das bewegliche Archiv. DVD-Editionen als Schnittstellen von Filmwissenschaft, Philologie und Marketingstrategien. In: Sommer, Gudrun/Hediger, Vinzenz/Fahle, Oliver (Hg.): Orte filmischen Wissens. Filmkultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke. Marburg: Schüren. S. 93-108.

Distelmeyer, Jan (2012): Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD&Blu-ray. Berlin: Bertz+Fischer.

Flückiger, Barbara (2012): Material Properties of Historical Film in the Digital Age. In: NECSUS.Tangibility. Autumn 2012. S.1-17. http://www.necsus-ejms.org/material-properties-of-historical-film-in-the-digital-age/ (30.01.2012)

Fossati, Giovanna (2009): From Grain to Pixel. The Archival Life of Film in Transition. Amsterdam: University Press.

Hediger, Vinzenz (2005): The Original is Always Lost. Film History, Copyright Industries and the Problem of Reconstruction. In: Hagener, Malte  und Marijke De Valck (Hg.): Cinephilia. Movies, Love and Memory. Amsterdam: University Press. S. 133-147.

Heller, Franziska (2012): Prettier than Ever. Die digitale Re-Konstruktion von Filmgeschichte und ihre Versprechen. In: Segeberg, Harro (2012): Film im Zeitalter Neuer Medien II. Digitalität und Kino. Mediengeschichte des Films Band 8. München: Wilhelm Fink. S. 253-274.

Heller, Franziska/Flückiger, Barbara (2010): Zur Wertigkeit von Filmen. Retrodigitalisierung und Filmwissenschaft. In: montage AV, 19/2/2010. S. 139-153.

Klinger, Barbara (2006): Beyond the Multiplex. Cinema, New Technologies and the Home. Berkeley/Los Angeles:  University of California Press.

Steinle, Matthias (2005): Das Archivbild. Archivbilder als Palimpseste zwischen Monument und Dokument im audiovisuellen Gemischtwarenladen. In: MEDIENwissenschaft, 3/2005, S. 295-309.

Worschech, Rudolf (2012): Klappe halten, Kunde! Die Firma Icestorm verstümmelt Filme und droht unzufriedenen Kunden. In: epd Film. 1.2012. S. 5.

Filmografie

Die Reise zum Mond. Die außergewöhnliche Reise (2012, Arthaus)

Georges Méliès. Le Premier Magicien du Cinéma (1896-1913) (2008, Lobster Films)

Georges Méliès. Die Magie des Kinos (2012, Arthaus, Doppel-DVD)

Le voyage dans la lune. Le voyage extraordinaire (1902, Georges Méliès / 2011, Bromberg/Lange Blu-ray u. DVD Lobster Films)

Münchhausen (1943, Josef von Báky / 2005, Friedrich-Wilhelm Murnau Stiftung/Transit Classics), inkl. Bonus „Ein Mythos in Agfa-Color“

Taxi Driver (1976, Martin Scorcese / 2011, Blu-ray Sony Pictures Home Entertainment)

The Life and Death of Colonel Blimp (1943, Michael Powell / Emeric Pressburger / 2012, itv Studios Home Entertainment)

The Wizard of Oz (1939, Victor Fleming / 2005, Warner Brothers, Turner Entertainment), inkl. Bonus „Prettier than Ever. The Restoration of Oz“

Weltenbrand (2012, TV-Serie, 8 Episoden, ZDF)

Antworten

XHTML: Diese Tags sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>