Warum ist das audiovisuelle Kulturerbe gefährdet?

1) Zwischen den Stühlen

Im Unterschied zu Büchern, für dies es schon seit Jahrzehnten eine Hinterlegungs- und Archivierungspflicht gibt, ist die Pflichtabgabe für Filme in Deutschland nur über das Filmförderungsgesetz geregelt, wodurch aber nicht alle relevanten Produktionen erfasst werden (vgl. hierzu das Interview mit Martin Koerber und die Umfrage des Bundesarchives). Bei Filmen ist für die Sicherung auch von großer Relevanz, welches Material dem Archiv übergeben wird (idealerweise z.B. das Negativ); dies ist in Deutschland weder einheitlich noch zufriedenstellend geregelt. Filme werden heute oft über Länder- und Mediengrenzen hinweg gefördert und sowohl im Fernsehen wie im Kino verbreitet. Diese vertrackte Urheberschaft führte in der Vergangenheit zu relativ restriktiven Vorgaben, die erst allmählich der Wirklichkeit angepasst werden. Nicht nur der Föderalismus entpuppt sich hier als verkomplizierende Instanz, auch internationale Koproduktionen unter Beteiligung deutscher Produktionsfirmen tragen zur Unübersichtlichkeit bei.

Vor diesem Hintergrund wird zur Zeit das Bundesarchivgesetz durch den BKM überarbeitet.

2) Das unbekannte Erbe

Das audiovisuelle Erbe bestand lange Zeit nur aus dem klassischen Kinofilm, wobei die Sparten Amateur-, Industrie, Dokumentar- und Experimentalfilm in der öffentlichen Wahrnehmung oft deutlich hinter dem Spielfilm zurückfallen. Das Fernsehen wird erst seit kurzem – und noch immer nicht mit voller Konsequenz – als Teil des audiovisuellen Erbes wahrgenommen.  Mit dem Aufkommen des Internets stieg die Zahl verfügbaren Materials und gleichzeitig auch das Bewusstsein einer Abgrenzung. Doch noch fehlen die Kriterien.

3) Verfall

Audiovisuelles Material zerfällt: Mal etwas geräuschvoller in Gestalt der Nitrofilme, meistens ganz still.

4) Medienumbruch

Der Übergang von den analogen zu digitalen Trägern hat für die Produktion und Distribution viele Vorteile gebracht; für die Langzeitarchivierung aber sind zentrale Fragen, insbesondere der Finanzierung, ungelöst. Das Vertrauen in die digitale Langzeitarchivierung ist selbst bei Experten relativ gering, da im Vergleich zum analogen Filmmaterial die Erfahrungswerte fehlen. Nichtsdestotrotz ist der Umstieg nicht mehr aufzuhalten. In relativ kurzer Zeit müssen nun alle Fragen gelöst werden, will man nicht mit Verlusten rechnen, die an die Frühzeit des Films herankämen, als es noch keine Filmarchive gab und die Hersteller und Künstler nach der Erstauswertung keine Verwendung mehr für ihre Produkte sahen. Andy Maltz – der Direktor des Science & Technology Council der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und Co-Autor der viel beachteten Studien zur Langzeitarchivierung von Filmen The Digital Dilemma 1 & 2 – spricht deshalb von der Gegenwart als einer möglichen Periode des „digitalen Nitratfilms“.