Was versteht man unter dem Begriff „audiovisuelles Kulturerbe“?

Der Begriff „Kulturerbe“ wird in erster Linie von der UNESCO bedient – der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur –, die direkt nach dem Endes des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde und ihren Sitz in Paris hat (Vertrag vom November 1945 im November 1946 von 20 Staaten ratifiziert; BRD 1951, DDR 1972). Ihre Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (1954) sollte einer Zerstörung von Kulturerbe im Falle eines weiteren Krieges vorbeugen.

Als direkte Umsetzung der Haager Konvention baute die BRD in der Nähe von Freiburg den Barbarastollen, ein ehemaliges Silberbergwerk, zum zentralen Bergungsort um, in dem seit 1978 – verwaltet vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – Mikrofilm-Duplikate kulturhistorisch wertvoller Archivalien (= Archivgut mit Unikatswert und mit besonderer Aussagekraft zu deutschen Geschichte und Kultur) aufbewahrt werden. Audiovisuelles Material gehört nicht dazu.

Audiovisuelles Material spielte auch bei der UNESCO Welterbekonvention aus dem Jahr 1972 noch keine Rolle, die sich stattdessen auf das Architektur- und Naturerbe bezog. Stand 2012 umfasst die entsprechende Welterbeliste 962 Denkmäler in 157 Ländern, davon 745 Kultur- und 188 Naturdenkmäler. Erst am 27. Oktober 1980 wurde in Belgrad – auf Initiative des damaligen Direktors des Staatlichen Filmarchivs der DDR und FIAF-Präsidenten Wolfgang Klaue – die Empfehlung zum Schutz und zur Erhaltung bewegter Bilder verabschiedet. Zum Gedenken an diese Empfehlung deklarierte die UNESCO 2005 den 27. Oktober als „Tag des audiovisuellen Erbes“.

Es sollte aber noch einmal über 20 Jahre dauern, bis diese Empfehlung zu einem konkreten Ergebnis führte: im Jahr 2001 wurde vom deutschen Nominierungskomitee der Film METROPOLIS von Fritz Lang für das UNESCO-Weltdokumentenerbe vorgeschlagen, das seit 1992 das „Gedächtnis der Welt“ schützen soll. Seitdem sind eine ganze Reihe anderer Filme und audiovisueller Materialien vorgeschlagen und aufgenommen wurden, darunter beispielsweise THE WIZARD OF OZ (1939, Victor Fleming).

Oftmals wird der Begriff „audiovisuelles (Kultur-)Erbe“ mit dem Ausdruck „Filmerbe“ verwechselt bzw. durch ihn ersetzt. Definiert man „Film“ als audiovisuelles Bewegtbild, das Spiel-, Dokumentar-, Experimental-, Animations-, Industrie- und Lehr- sowie Amateurfilme genauso mit einschließt wie die Videokunst, das Fernsehprogramm oder Computerspiele, so sind die beiden Begriffe in der Tat synonym. Allerdings beziehen sich diejenigen, die „Filmerbe“ sagen oftmals nur auf den Kinospielfilm.

Zudem gibt es keine klare Übereinkunft, ob das Filmerbe bzw. audiovisuelle Erbe im Sinne der UNESCO nur wenige herausgestellte Werke von hohem kulturellen Anspruch umfassen soll oder doch eher einen Sammelbegriff für alle jemals hergestellten audiovisuellen Materialien darstellt. Nimmt man sich die von der Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann „Speichergedächtnis“ getaufte Grundfunktion von Archiven zu Herzen, sollte man möglichst ein breites Spektrum von Artefakten archivieren, da sich erst in Zukunft entscheiden wird, was wertvoll ist.